© Jeanne Degraa



INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 22. Oktober 2022

»Der kreative Prozess steht über allem«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Regina Fritsch


Die Schauspielerin über ihre Bindung zum Burgtheater, prominente Mentorinnen und ihre ungenutzte Lust am Handwerklichen.

"Wiener Zeitung": Frau Fritsch, Sie sind momentan Trägerin der beiden prestigeträchtigsten Ringe des Sprechtheaters, haben 2014 den Alma-Seidler-Ring verliehen bekommen und im Jänner 2022 den Albin-Skoda-Ring. Sind solche Auszeichnungen für Sie mehr Freude oder Last?

Regina Fritsch: Es ist für den Moment schön, wenn man Anerkennung erfährt, aber sonst spielt das in meinem Alltag keine Rolle. Es erleichtert mir das Leben nicht, die Zweifel und Kämpfe bleiben dieselben. Auszeichnungen setzen natürlich einen Maßstab, aber nur einen menschlichen, Gott sei Dank keinen übermenschlichen, Nichtgelingen muss immer möglich sein dürfen.

Annemarie Düringer hatte Sie testamentarisch als die ihr nachfolgende Trägerin des Alma-Seidler-Ringes verfügt. Kam dies für Sie überraschend?

Absolut! Karin Bergmann war damals Direktorin, sie rief mich an und sagte: Sitzt du gut? Damit hätte ich absolut nicht gerechnet.

1987, also zwei Jahre nachdem Sie von Achim Benning ans Burgtheater engagiert wurden, standen Sie mit Düringer im Nestroy-Stück "Umsonst" gemeinsam auf der Bühne. Ihr eilte der Ruf voraus, dass sie Neuzugänge streng prüft. Wie haben Sie das erlebt?
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Annemarie Düringer hatte hohe Ansprüche und eine sehr direkte, wenig pädagogische Art. Sie sagte einem alles mitten ins Gesicht. Das machte mir jedoch nichts aus, ich hatte großen Respekt vor ihr und schätzte sie als Ratgeberin. Einmal probte ich eine Rolle im "Stellvertreter" von Rolf Hochhuth und kam mit dem Regisseur überhaupt nicht klar - die erste Adresse war sie. Ich rief sie an und sagte: Bitte, hilf mir! Und das hat sie getan.

Würden Sie Düringer als eine Art Mentorin bezeichnen?

Nicht so wie Erika Pluhar, die eine aktive Mentorin war und mit der ich bis heute freundschaftlich verbunden bin. Annemarie war emotional viel weiter weg, sie war eher nur Respektsperson.

Sie teilten für einige Jahre die Künstlergarderobe mit Düringer.

Früher war es so, dass man als Neuzugang in der hintersten Garderobe anfing und sich die vorderen erst verdient machen musste. Anhand der Garderobe, die man zugeteilt bekam, konnte man ablesen, welcher künstlerische Status einem zuteilwurde. Irgendwann bin ich in Annemaries Garderobe gelandet - solche Traditionen gibt es heute nicht mehr.

Als Sie mit knapp 21 Jahren Ensemblemitglied des Burgtheaters wurden, waren Sie umringt von großen Namen: Paula Wessely, Inge Konradi, Erika Pluhar, Michael Heltau, Susi Nicoletti, Kurt Sowinetz, Karlheinz Hackl. Wie wurden Sie aufgenommen?

In den nun bald 40 Jahren am Burgtheater würde ich sagen, war das meine Zeit, ich wurde großartig aufgenommen und habe alles von diesen tollen Persönlichkeiten gelernt, nur durch Zuschauen, von der Pieke auf sozusagen. Auch Michael Heltau hat sich sehr um mich gekümmert, genau beobachtet, wer ich bin, wie ich spiele, wie ich mich entwickle. Es waren viele wohlwollende und interessierte Begegnungen!

Gibt es diesen Ensemblegedanken heute noch?

Es gibt ihn sicher noch, aber seine Streitbarkeit, seine Kraft und seine Identifikation schwächelt. Ich erinnere mich, als Claus Peymann kam und das Ensemble in einem Interview als "leere Hülsen" bezeichnete - wie man da füreinander gekämpft hat! Wir sind heute vereinzelter, etwas müde und desinteressierter - kommt mir vor.

Paula Wessely war die erste Trägerin des Alma-Seidler-Ringes. Hatten Sie zu ihr ebenfalls näheren Kontakt?

Nein, da war sie ja schon sehr alt, aber ich war eine große Verehrerin von ihr. Das wusste auch ihre Tochter Maresa Hörbiger. Als ich mit 33 Jahren die Genia in Schnitzlers "Das weite Land" spielte, hat sie mir zur Premiere ein von ihrer Mutter mit zittriger Hand geschriebenes "Toi, toi, toi" überbracht. Das hat mir sehr viel bedeutet, zumal die legendärste Inszenierung dieses Stückes ja jene mit Paula Wessely und Attila Hörbiger war.

Mit dem Leben und Wirken Alma Seidlers haben Sie sich ebenfalls beschäftigt.

Das hat mit Achim Benning zu tun, der ziemlich am Anfang meiner Karriere zu mir sagte, dass ich ihn an Alma Seidler erinnere.

Inwiefern haben Sie ihn an Alma Seidler erinnert?

Er hat wohl gefunden, dass ich ebenso vielseitig einsetzbar bin auf der Bühne und ähnlich unabgehoben im Leben.

Alma Seidler hat fast 60 Jahre am Burgtheater gespielt - haben Sie das auch vor?

Ich weiß es nicht, ich bin diesem Haus sehr verbunden, es reizt mich nicht, woanders zu spielen. Was mich mehr reizen würde, ist, überhaupt nicht mehr zu spielen...

Da sprechen Sie ein Thema an, das sich durch Ihr Leben zieht: Woran liegt es, dass Sie trotz großer Erfolge immer wieder Zweifel plagen, ob Sie den richtigen Beruf ergriffen haben?

Weil die Fragen, die mich in meinem Leben am meisten beschäftigen, lauten: Wie lebt man richtig? Was ist meine Aufgabe als Mensch? Mich interessiert das große Ganze, das man nicht verstehen kann - das zieht mich in seinen Bann, und weniger meine Person, ob ich jetzt toll spiele oder einen Preis kriege. Die wesentliche Frage ist für mich, wie setzt man seine Fähigkeiten so ein, um das Beste aus dem Leben zu machen. Und da gibt es viele Möglichkeiten.

Welche Fähigkeiten sehen Sie zu wenig genutzt in Ihrem Leben?

Vor allem das Haptische, das Handwerkliche, das Praktische.

Das heißt, Sie sind handwerklich begabt. Was können Sie alles?

Im Grunde genommen alles außer Schweißen und Elektroinstallationen! Haha, nein, das ist natürlich gelogen, aber es interessiert mich tatsächlich alles!

Ist das eine angeborene Neugierde, dass Sie sich für so viele unterschiedliche Dinge interessieren oder kommen diese Interessen aus dem Elternhaus?

Auch aus dem Elternhaus, mein Vater war Baumeister und Jazzmusiker, sehr kreativ und vielseitig. Meine Großmutter, die mich ebenfalls sehr geprägt hat, war Kleinbäuerin und Köchin, sie hatte Hühner und ein Schwein, einen Garten, ein Feld und einen Weingarten. Es hat mir unheimlich gefallen, was sie alles selber konnte. Da gibt es übrigens einen Super-8-Film von mir, als ich noch ganz klein war: Es war ein Ereignis, weil wir erstmals eine Sodawasserflasche hatten und sie nicht richtig zu bedienen wussten. Ich konnte zwar noch kaum sprechen, sagte aber bereits: Regina macht das! Das wurde zum geflügelten Wort für heikle Herausforderungen in unserer Familie: Regina macht das!

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