Fotos: © Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 6. August 2016

»Ich wollte es immer besser als gut machen«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit KS Renate Holm

Kurz vor ihrem 85. Geburtstag zieht Kammersängerin Renate Holm eine Bilanz ihres vielseitigen künstlerischen Schaffens und verrät, wie es gelingen kann, dass man sich 30 Jahre lang fühlt, als ob man 50 wäre: Man braucht dazu Liebe zu seinem Beruf, Disziplin und schließlich auch Humor.

"Wiener Zeitung": Frau Kammersängerin, Sie werden demnächst 85 Jahre alt, geben nach wie vor Konzerte und sind darüber hinaus eine überaus gefragte Gesangspädagogin. Singen ist für Sie offensichtlich eine Art Jungbrunnen.

Renate Holm: Ich glaube, dass es ungemein hilfreich ist, wenn es im Leben etwas gibt, dem man sich mit ganzem Herzen widmen möchte. Egal, was auch immer das für eine Aufgabe sein mag. Bei mir ist es die Musik, das Singen und - als großer Kontrast dazu - in meiner Mühle in Niederösterreich Bäuerin aus Liebe zu sein. Was mich zuletzt in der Tat mehr gefordert hat als das Singen.

Was ist geschehen?

Ich hatte in meiner Mühle immer Esel. Ende des letzten Jahres ist mein letzter Esel mit fast 39 Jahren eingeschlafen. Daraufhin habe ich eine Eselstute vor dem Schlachten gerettet und gekauft. Was niemand wissen konnte: Sie war zu diesem Zeitpunkt schon gedeckt und hat mir nun - vielleicht aus Dankbarkeit? - ein Junges geschenkt! Allerdings verliefen die ersten Lebenstage nicht ohne Komplikationen und es hat meinen ganzen Einsatz gefordert, alles in gute Bahnen zu lenken. Aber jetzt hat der kleine Esel es geschafft!

Gerade bei Bühnenkünstlern fragt man sich oft, wie es möglich ist, sich diese Vitalität bis ins hohe Alter zu bewahren?

Ich denke, das hat verschiedene Gründe. Zum Singen gehört auch die Disziplin, den Körper in Form zu halten und den Atem zu kontrollieren. Eine intakte Atemtechnik bringt im Körper vieles ins Fließen und ist nicht nur für das Singen wichtig, sondern auch in medizinischer Hinsicht für den Körper gut. Dann kommt noch die mentale Ebene dazu. Dieser wunderbare Beruf bringt es mit sich, dass man in verschiedene Rollen schlüpfen kann. Auch bei Konzerten, wenn man Lieder interpretiert, ist die Fantasie sehr gefordert. Diese Fantasie trägt dazu bei, dass man sich sowohl mental als auch gefühlsmäßig immer wieder verwandelt. All das hält jung.

Den umgekehrten Fall gab es natürlich auch. Mit 28 haben Sie zum ersten Mal die Papagena in Mozarts "Zauberflöte" gesungen.

Diese Partie habe ich geliebt! Ich bin stundenlang in der Maske gesessen, um mich von einer jungen Frau in eine 102-jährige zu verwandeln. Die Papagena zählte zu einer meiner Lieblingsrollen! Allerdings muss ich ehrlicherweise dazu sagen, dass ich mich gegen Ende des Stücks ja wieder in die achtzehnjährige Papagena zurückverwandeln durfte.

Angesichts der breiten Palette Ihres künstlerischen Schaffens kann man getrost davon sprechen, dass Sie in Ihrem Leben mindestens fünf Mal entdeckt wurden. Zum ersten Mal 1951, als Sie mit dem "Lied der Nachtigall" von Franz Grothe als Siegerin eines Gesangswettbewerbs des Rundfunksenders RIAS Berlin hervorgingen. Danach folgte eine Blitzkarriere als Schlager- und Filmstar. Dass Wien nun seit bald 60 Jahren Ihr Lebensmittelpunkt wurde, verdankt man im Grunde dem Regisseur Hubert Marischka. Wie wurde er auf Sie aufmerksam?

Ich drehte insgesamt zwölf Spielfilme, einer davon war der Operettenfilm "Schön ist die Welt". Marischka sah diesen Film und schrieb dieses für mich schicksalhafte Telegramm: "Habe Sie in dem Film ,Schön ist die Welt‘ gesehen, würde Sie gern als meine Prinzessin Helene im ,Walzertraum‘ an die Volksoper engagieren". Ich fuhr nach Wien und wurde nach dem Vorsingen sofort engagiert.

Dieses erste Engagement an der Volksoper wurde ein Riesenerfolg. Zögerten Sie damals tatsächlich keine Sekunde, inmitten einer erfolgreichen Film- und Schlagerkarriere zu sagen: "Jetzt ist Schluss, ich will nur noch Oper singen?"

Nein, Opernsängerin zu werden war mein größter Traum. Zeitgleich hatte ich das Angebot, in Berlin im Theater des Westens die deutschsprachige Uraufführung von "My Fair Lady" zu machen. Hätte ich die Eliza gesungen, wäre der Weg wahrscheinlich in Richtung Musical gegangen.

Sie entschieden sich für den schwierigeren Weg . . .

. . . und ich habe es nie bereut. Die klassische Musik hat mich zwar in höchstem Maße gefordert, aber zugleich unbeschreiblich bereichert. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Ist Ihnen die Übersiedelung von Berlin nach Wien hinsichtlich Ihres Freundeskreises nicht schwergefallen?

Eigentlich nicht. Es mag auch eine Rolle spielen, dass viele Kolleginnen und Kollegen zu meinem engsten Freundeskreis zählen. Wenn man intensiv miteinander arbeitet, können ungemein bereichernde Verbindungen entstehen. Manche dieser Freundschaften halten bis zum heutigen Tag.

Sind Ihre Kollegen für Sie eine Art Familie?

Das war immer so, egal ob beim Film oder in der Oper. Umso schlimmer war für mich die Pensionierung von der Staatsoper. Das hat mich unbeschreiblich getroffen. Denn auch die Oper war meine Familie, mein Nest. Als mir Herbert von Karajan 1961 ein festes Engagement an der Wiener Staatsoper anbot, entschied ich mich ganz bewusst dafür, dreißig Jahre lang Ensemblemitglied zu sein. Und plötzlich wurde ich aufgrund meines Geburtsdatums aus diesem - wie ich es nenne - Nest geworfen: Ich sehe mich noch mit unglaublicher Traurigkeit diese drei Stockwerke von der Direktion bis zum Bühnenausgang hinuntergehen. Bis zum heutigen Tag betrete ich die Staatsoper nicht ohne eine gewisse Wehmut. Es ist hilfreich, dass ich nun Schüler habe, die an der Staatsoper singen, und mir somit eine ganz andere Aufgabe zuteil wird - nämlich die der Gesangspädagogin.

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