© Peter Jungwirth
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INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 25. September 2021
»Musizieren steigert die Empathie«
Christine Dobretsberger im Gespräch mit Ulrike Sych
Ulrike Sych, Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien,über künstlerische Nachwuchsförderung, ihren eigenen Weg als Sängerin und Pädagogin – und über die Herausforderungen der Corona-Krise.
"Wiener Zeitung": Frau Rektorin Sych, Sie leiten seit 2015 als erste Frau die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw). Wie ist es Ihrer Einschätzung nach um den österreichischen künstlerischen Nachwuchs bestellt?
Ulrike Sych: In der Künstlernachwuchsförderung wird in Österreich sehr viel getan. Ich denke da beispielsweise an den Jugendmusikwettbewerb "prima la musica" bzw. an die Musikschulen, die österreichweit beste Arbeit leisten. Gerade im Bereich der Blechbläser gibt es einen großen Anteil an österreichischen Nachwuchskünstlerinnen und Nachwuchskünstlern, weil die Länder in fast jedem Bezirk über eine Blasmusikkapelle verfügen bzw. in Österreich generell viel musiziert wird. Wo meiner Ansicht nach Luft nach oben wäre, ist im allgemeinen Bildungssystem, was musische Fächer anlangt.
Studienplätze an der mdw, zu der u.a. auch das Max Reinhardt Seminar und die Filmakademie zählen, sind heiß begehrt. Von jährlich über 3.000 Bewerberinnen und Bewerben schaffen nur zehn Prozent die Aufnahmeprüfung. Rund 50 Prozent der Studierenden sind ausländische Studenten.
Sogar etwas darüber, die mdw ist eine sehr internationale Universität. Unsere Studierenden kommen aus 72 Nationen. Wir sind sehr qualitätsbezogen, sehr streng bei den Zulassungsprüfungen und in der glücklichen Lage, die besten Studierenden aus der ganzen Welt auswählen zu dürfen. Das bedeutet für die Bewerberinnen und Bewerber, dass sie an der mdw einen starken internationalen Wettbewerb in der Zulassung bestehen müssen. Gleichzeitig heißt das aber auch, dass sie sich bereits in einem sehr frühen Alter für die Kunst entscheiden müssen.
In internationalen Rankings wird die mdw seit Jahren in Top-Position gereiht. Welche Bedeutung kommt hier dem Standort Wien zu?
Eine große. Wir bieten unseren Studierenden die Möglichkeit, mit den bedeutendsten Kulturinstitutionen kooperieren zu können, beispielsweise mit Burgtheater, Staatsoper oder den Wiener Philharmonikern. Zum Zweiten hat Wien eine große freie Kunstszene, die ebenfalls von unseren Studierenden bespielt wird. Und dann ist Wien natürlich berühmt für seine Klangtradition. Wir unterrichten Instrumente, die es nur bei uns gibt, wie etwa das Wiener Horn oder die Wiener Pauke, und beforschen diese Tradition auch an unserem Institut für Wiener Klangstil.
Im Sommer wurde am Campus der mdw das Future Art Lab eröffnet, ein architektonisch hochmodernes Gebäudeensemble, das u.a. Raum für ein Klang- theater, ein Tonstudio, einen Konzertsaal sowie ein Kino bietet. Welche Ziele sind mit diesem Neubau verknüpft?
Wir möchten unseren Studierenden die besten Rahmenbedingungen für ihr Studium bieten. Unsere Filmstudierenden können hier die volle Realität der Filmproduktion simulieren. Durch die neue räumliche Nähe etwa von TonmeisterInnen-Ausbildung und Filmakademie ergeben sich wunderbare Synergien zwischen den Instituten.
Beobachten Sie den weiteren Karriereweg Ihrer Absolventinnen und Absolventen?
Ja, manche kommen auch als Lehrende zurück, wie zum Beispiel Olga Neuwirth, die ab Oktober an der mdw Komposition unterrichten wird.
Welche prominenten Absolventen fallen Ihnen spontan noch ein?
Angelika Kirchschlager, Kirill Petrenko, Andrés Orozco-Estrada, Rudolf Buchbinder, Zubin Mehta, Elisabeth Orth, Jessica Hausner, die ebenfalls nun an der Filmakademie unterrichtet. Die Liste ist lang...
Sie haben zuvor anklingen lassen, dass Sie sich im schulischen Bereich eine stärkere Hinwendung zu musischen Gegenständen wünschen würden...
Ich finde es sehr bedauerlich, dass Musik und Bildnerische Erziehung im österreichischen Schulwesen sehr an den Rand gedrängt sind, weil man in diesen Fächern Soft Skills erlernt, die von größter gesellschaftlicher Bedeutung sind.
Zum Beispiel?
Die sozialen Kompetenzen werden gestärkt. Gerade in Hinblick auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Integration und Krisenbewältigung ist das von größter Relevanz. Miteinander zu musizieren steigert die Empathie. Es ist bewiesen, dass Kinder, die Musikklassen besuchen, weniger Mobbingfälle in den Klassen haben, weil sie durch das Gehörtraining viel früher spüren, in welcher Stimmung ihr Visavis ist, und entsprechend darauf reagieren können. Zu singen oder ein Instrument zu erlernen bedeutet auch, dass man diszipliniert üben muss. Ein weiterer Aspekt ist die Selbstreflexion. Wenn ich etwas einübe, bin ich immer selbstkritisch: Wie klingt das, wie hört sich das an? Eine gute Feedback- und Kritikkultur zu entwickeln, ist für die gesamte Gesellschaft ein ganz wesentlicher Aspekt.
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