Fotos © Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 19. März 2011

Ich lebe mit dem Begriff »Trotzdem«

Erika Pluhar im Gespräch mit Christine Dobretsberger

Die Schriftstellerin, Schauspielerin und Sängerin Erika Pluhar erklärt, warum sie Tagebuch schreibt, und weshalb ihre Bücher auch dann mit ihrem Leben zu tun haben, wenn sie nicht autobiographisch sind.

"Wiener Zeitung": Frau Pluhar, vor rund 30 Jahren veröffentlichten Sie Ihr erstes Buch mit Auszügen aus Ihren wirklichen Tagebüchern. Im Vorjahr publizierten Sie mit dem Roman "Spätes Tagebuch" ein Werk, in dem Realität und Fiktion ineinander greifen. Weshalb wählten Sie nochmals den Tagebuch-Stil?

Erika Pluhar: Weil es einfach ein Stil ist, den ich privat sehr nutze. Wenn man Tagebuch schreibt, denkt man nicht vornehmlich an Literatur, sondern die Äußerungen können sehr pur, sehr authentisch und direkt sein.

Sie schreiben also nach wie vor Tagebuch?

Jeden Morgen.

Was sind Ihre Beweggründe dafür?

Das Überleben, ja, so weit gehe ich. Ich reflektiere an jedem Morgen den vergangenen Tag. Da fließt dann alles ein, was mich schwer leben lässt, aber auch Dinge, die mich gefreut haben. Ich brauche diesen Dialog mit mir selber, diese Reflexion - es heißt ja auch niederschreiben . Dank dieses täglichen Niederschreibens gelingt es mir auch teilweise, mich von Nöten, Verzweiflung und Lebensunlust zu befreien. Und eben weil ich beim Tagebuchschreiben nicht an eine Herausgabe der Texte denke, kann ich sehr drastisch sein und in dieser Drastik viele Gefühle loswerden. Das lässt mich ruhiger werden.

Derart persönliche Notizen konnten Sie Anfang der achtziger Jahre tatsächlich aus der Hand geben?

Nur an Angela Praesent. Sie hat 1979 mit mir ein Interview für die "Zeit" gemacht und im Zuge dessen erfahren, dass ich Tagebücher schreibe. Nach dem Tod von Peter Vogel ( Schauspieler und Lebensgefährte Pluhars, Anm. ) stand sie plötzlich vor meiner Tür und sagte: Erika, das wäre etwas für die Buchreihe "Neue Frau" bei Rowohlt. Sie hat dann Seite für Seite kopiert und redigiert. Wir sind dadurch echte Freundinnen geworden, weil sie das ganze Material kennen gelernt und wirklich sehr delikat herausgegeben hat. Es gab allerdings auch noch einen anderen Grund dafür, dass ich mich entschloss, meine Tagebuchnotizen zu veröffentlichen.

Nämlich welchen?

Ich war zu dieser Zeit ganz abscheulichen voyeuristischen Angriffen ausgesetzt. Als Peter Vogel starb, schreckten manche Pressefotografen wirklich vor nichts zurück. Erst verschaffte sich ein Fotograf unter einem Vorwand Zutritt zum Leichenschauhaus, um Peter Vogel zu fotografieren. Am Tag des Begräbnisses trampelten Fotografen dann am Münchner Friedhof auf den Gräbern herum, nur um Gertraud Jesserer und mich zu fotografieren. Damals hat es bei mir wirklich "klick" gemacht - und als Angelas Vorschlag kam, dachte ich mir: Gut, wenn ich meine Tagebuchnotizen herausgebe, müssen sie nicht mehr durchs Schlüsselloch schauen. Und diese Entscheidung hat mir in Hinkunft wirklich genützt. Voyeurismus gibt es ja nur, wenn man zusperrt.

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