Friederike Mayröcker, Bodo Hell © Christine Dobretsberger



INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 20. Juni 2009

Die Kunst, mit anderen Augen zu sehen

Friederike Mayröcker und Bodo Hell im Gespräch mit Christine Dobretsberger

 Friederike Mayröcker und Bodo Hell sprechen über das Werk der Dichterin, den Stellenwert der Poesie, über ihre Freundschaft - und die gemeinsamen Erinnerungen an Ernst Jandl.

"Wiener Zeitung": Frau Mayröcker, in Ihrem neuesten Lyrikband, "Scardanelli", finden sich auffallend viele persönliche Widmungen. Drei der Gedichte sind beispielsweise Bodo Hell zugedacht. Wissen Sie schon im Voraus, dass Sie ein Gedicht einem bestimmten Menschen widmen möchten, oder ergibt sich das erst im Prozess des Schreibens?

Friederike Mayröcker: Das ist unterschiedlich. Aber meistens weiß ich es schon im Vorhinein.

Bodo Hell: Das Schöne ist, dass man sich einerseits wahnsinnig freut, wenn man ein Gedicht liest, das einem zugedacht wurde. Andererseits hat man oft das Gefühl, Friederike entwirft eine andere Person, an die man sich annähern könnte, bzw. eine Situation, die man halluziniert haben könnte.

Mayröcker: Halluzination spielt natürlich eine große Rolle. Der Zustand während des Schreibens ist an und für sich ein ganz außerordentlicher.

In einem früheren Interview meinten Sie, dass Ihre Texte nicht autobiografisch, sondern authentisch seien.

Mayröcker: Das ist ein zweischneidiges Schwert. In irgendeiner Form ist natürlich immer ein bisschen Autobiografie vorhanden, die man allerdings nicht gleich merkt, weil sie oft verhüllt wird.

Hell: Viele derer, denen du Gedichte gewidmet hast, erkennen sich in deinen Zuschreibungen bisweilen nicht wieder. Und genau das finde ich das Spannende. Es sind keinesfalls Übertragungen im realen Sinn, sondern die Wahrnehmung ist immer in einer Weise verschoben. Manchmal habe ich fast den Eindruck, du gibst den Personen in deinem Werk Namenshülsen. Ich bin gar nicht sicher, ob diese Gedichte wirklich uns gewidmet sind.

Mayröcker: Doch, es hat schon immer etwas mit diesen ganz speziellen Menschen zu tun. Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus Fantasie und Wirklichkeit.

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