Fotos © Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 6. Dezember 2008

»Musik ist eine Sache des Vertrauens«

Olga Neuwirth im Gespräch mit Christine Dobretsberger

Die Komponistin Olga Neuwirth erläutert ihre Arbeitsweise, übt Kritik am Konservativismus des Konzert- und Musiktheaterbetriebs und erklärt die Unterschiede zwischen einer Komposition und anderen Kunstformen.

"Wiener Zeitung:" Frau Neuwirth, von Ihnen stammt der Ausspruch: Komponieren ist das Gegenteil von Leben. Was ist mit diesem Satz gemeint? Der langwierige Prozess der Notation?

Olga Neuwirth: Einerseits meine ich damit das Gegenteil von sozialem Leben, andererseits den Versuch, durch Notation, die ja Kommunikation und Selbstzweck zugleich ist, den Zufall bis zu einem gewissen Grad auszuschalten. Was aber nicht funktioniert, weil es keine perfekte Notation gibt. Die eigenen Klangvorstellungen in ein codifiziertes System zu bringen und für andere Menschen, sprich für Musiker und Interpreten nachvollziehbar zu machen, ist sehr schwierig. Letztlich bleibt immer eine Unschärfe, eine gewisse "fuzzy logic".

Mit anderen Worten: Der Zufall ist im Rahmen der Umsetzung eines Werkes nur bis zu einem gewissen Grad lenkbar?

So ist es. Man ist von anderen Menschen, ihrem Können, ihrem Wollen sowie ihrer Auffassungsgabe abhängig.

Die Notation ist somit nur der Versuch eines Anhaltspunktes?

Das Papier sagt wenig. Andererseits ist Komponieren so zeitaufwändig, dass es sich im Grunde gegen die eigene Lebenszeit richtet. Im Kopf hat man die gesamte Klangvorstellung ja schon fix und fertig. Dann beginnt die minutiöse Prozedur der Notation. Jede Sekunde Musik wird wie in der Quantenphysik in Nanosekunden zerteilt und muss für jedes Instrument festgehalten werden.

Wie lange arbeitet man an einer Minute Musik?

Das hängt davon ab, wie viele Musiker berücksichtigt werden müssen und wie dicht die Strukturen sein sollen. Ein schneller Lauf von der tiefsten Tiefe bis in die höchste Höhe, der sich über einen Orchesterapparat von 60 Musikern spannt, ist notationstechnisch enorm zeitintensiv. Für eine halbe Minute Musik versitzt man rund zwei Tage. Zudem gilt es, das rhythmische Ineinandergreifen innerhalb eines Taktes zu berücksichtigen. Das ist eine unglaubliche Geduldsarbeit, und ich bin im Grunde kein geduldiger Mensch.

Wie hält man so viel Musik im Kopf aus?

Das ist ein Problem und enorm anstrengend.

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