Fotos © Robert Wimmer
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INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 11. August 2012
»Ich sah Stufen, unglaublich viele Stufen...«
Christine Dobretsberger im Gespräch mit Michael Zimpfer und Wolfgang Kerber
Der Physiker Wolfgang Kerber und der Arzt Michael Zimpfer haben gemeinsam ein Buch über die Lebensrettung des einen durch den anderen verfasst. Im Interview sprechen sie über Intensivmedizin, Lungen-Maschinen und Nahtod-Erlebnisse.
"Wiener Zeitung": Herr Kerber, 1999 kenterten Sie beim Befahren einer Wehranlage mit Ihrem Kajak. Als Sie aus der Traisen geborgen wurden, hatten Sie eine Körpertemperatur von 24 Grad und waren klinisch tot. Nach einer erfolgreichen Wiederbelebung des Notarztes wurden Sie ins Krankenhaus von Lilienfeld auf die Intensivstation gebracht. In weiterer Folge verschlechterte sich Ihr Zustand auf Grund einer Schocklunge massiv und Sie wurden ins AKH überstellt. Dort lagen Sie acht Tage im Koma und standen abermals an der Schwelle zum Tod. Exakt 100 Tage später war es dank der Kunst der Ärzte - unter der Leitung von Michael Zimpfer - möglich, dass Sie wieder an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren konnten. Wie geht es Ihnen heute?
Wolfgang Kerber: Ausgezeichnet. Ich gehe Bergsteigen, Klettern und Kajak Fahren. Dass meine Lunge keinen Schaden genommen hat, ist für mich die angenehmste Überraschung.
Herr Zimpfer, gemeinsam mit Herrn Kerber haben Sie nun das Buch "Aus dem Koma zurück an die Universität" verfasst. Sie schreiben, dass der "Fall Kerber" aus medizinischer Sicht eine Schallmauer durchbrochen hat. Es sei als Novum zu bezeichnen, dass ein Mensch nach einem derartigen Unfall wieder über eine perfekte Lungenfunk-tion verfügt. Gibt es seither einen vergleichbaren Fall?
Michael Zimpfer: Ich denke, das ist - in vielerlei Hinsicht - eine einmalige Geschichte. Dass eine vollständige Heilung stattfinden konnte, ist allerdings nicht der Verdienst eines Einzelnen, sondern ich sehe darin eine Gesamtheit strategischer, organisatorischer und menschlicher Vernetzungen.
Die strategische Grundsatzentscheidung, sich für den Einsatz der sogenannten Lungen-Maschine zu entscheiden, hatten Sie damals allerdings alleine gefällt.
Zimpfer: Dafür hatte ich auch die Verantwortung zu tragen. Die Beatmungsmethode mit der Lungen-Maschine, die, verkürzt gesagt, eine Weiterentwicklung der Herz-Lungen-Maschine ist, war zum damaligen Zeitpunkt noch umstritten. Wenngleich man mit dieser Methode bei Säuglingen gute Erfolge erzielte, war sie bei Erwachsenen häufig mit Komplikationen verbunden. Bei Wolfgang Kerber standen wir vor dem Problem, dass seine Lunge ex-trem geschädigt war. Wir hatten es mit einer Schocklunge zu tun. Bei einer schweren Schocklunge wird die künstliche Beatmung problematisch, weil hier mit hohem Druck sauerstoffreiche Luft in die Lunge hineingedrückt wird, was diese auf Dauer weiter schädigen würde.
Mit anderen Worten: Klassische künstliche Beatmung ist bei schweren Lungenschäden kontraproduktiv?
Zimpfer: Ja, deshalb haben wir uns am AKH bereits in den 1990er Jahren eingehend mit der sogenannten extrakorpralen Membran-Oxygenation (ECMO) beschäftigt und alles daran gesetzt, diese "Künstliche-Lunge"-Technologie an unserer Klinik zur Anwendung zu bringen.
Und eben diese ECMO-Technologie kam bei Ihnen zur Anwendung?
Kerber: Da ich zu diesem Zeitpunkt im Koma lag, habe ich davon nichts mitbekommen. Aber im Zuge der Arbeit an diesem Buch habe ich recherchiert. Damals, im Jahr 1999, standen die Chancen, dass man mit einer Schocklunge überlebt 1:200. Heute ist es fast als Selbstverständlichkeit zu bezeichnen, dass man durchkommt.
War die Tatsache, dass diese Therapieform bei Herrn Kerber so gut funktioniert hat, Anlass dafür, dass sich diese Methodik in weiterer Folge am AKH etablierte?
Zimpfer: Wie gesagt: Wir haben schon vor dem "Fall Kerber" an die Zukunft dieser Lungen-Maschine geglaubt und fanden in unserem Bemühen um Einführung dieser Methode große Unterstützung durch Prof. Lennartz aus Marburg. Ich möchte auch ausdrücklich betonen, dass die Lungen-Maschine nicht unsere Erfindung ist. Aber wir haben diese Methodik verfeinert, weiterentwickelt und unseren Bedürfnissen angepasst. Bei Wolfgang Kerber war es der ideale Zeitpunkt einzusteigen. Heute ist diese Methode Standard.
Kerber: Im Prinzip hätte es auch Sinn gemacht, wenn ich nicht überlebt hätte. Und zwar hinsichtlich der Patienten, die nach mir gekommen wären. Die Medizin braucht ein "Material", mit dem sie arbeiten kann. Und als Mate-rial bezeichne ich den Patienten, der noch lebend in die Intensivstation eingeliefert wird und an dem man ausloten kann, was noch zu machen ist.
In Ihrem Buch wird immer wieder die Frage in den Raum gestellt: Was kann die Medizin, wenn man sie lässt?
Zimpfer: Die heutigen Herausforderungen der Medizin sind vielseitiger Natur. Einerseits natürlich die finanzielle Bedeckung, andererseits die ständige Erneuerung der richtungsweisenden Stromlinie, die man verfolgt. Dies ist bei eingefahrenen Verwaltungsstrukturen nicht immer einfach. Das gilt auch für neue technische Anschaffungen. Man braucht einfach immer das Beste, das ist mein Prinzip. Damit stößt man natürlich auf Widerstände. Es gibt immer Leute, die argumentieren, dass es mit weniger auch ginge. Aber nicht bei jedem Patienten.
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