Fotos © Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 8. Mai 2016

»Emotion allein reicht nicht aus«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Peter Simonischek

Der Schauspieler Peter Simonischek über Hingabe am Theater, die Wichtigkeit von lebendigem Zusammenspiel auf der Bühne, den "Hänger" als Chance - und über seine kommende Goldoni-Rolle am Burgtheater.

"Wiener Zeitung": Herr Simonischek, beginnen wir zunächst nicht mit Theater, sondern mit den Rolling Stones. Sie schreiben in Ihrer Autobiografie, dass der Besuch eines Stones-Konzertes in den 1970er Jahren in Bern für Sie eine ganz einschneidende Erfahrung war. Als unmittelbare Konsequenz daraus kündigten Sie Ihren damaligen Vertrag mit dem Stadttheater Bern auf. Was genau löste dieses Konzert in Ihnen aus?

Peter Simonischek: Ich war vor allem beeindruckt davon, dass man so viel von sich auf die Bühne bringen kann. Hinzu kam, dass ich aufgrund meiner Internatszeit im Konvikt St. Paul zuvor noch nie ein Livekonzert miterlebt hatte. Das war so eine gewaltige Performance, mir blieb die Luft weg! Mick Jagger hat echt etwas geboten für sein Geld, sich völlig verausgabt und hingegeben. . . Als ich am Abend meine Vorstellung spielte, dachte ich mir: Ich möchte mich auch hingeben, deswegen bin ich Schauspieler geworden! Ich wollte mich nicht mehr zufrieden geben mit dieser moderaten Form von Selbstveräußerung, die am Stadttheater Bern gefragt war.

Dieses Konzert hat in Ihnen also den Wunsch nach noch intensiveren Ausdrucksmitteln am Theater geweckt?

Dieses Konzert war zwar ein einschneidendes Erlebnis, aber ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich dadurch wirklich zu dieser Intensität in der Arbeit gefunden hätte. Das war ein langer Prozess - und erst viele Jahre später kam ich überhaupt in die Nähe dieser Bereiche. Ich glaube auch, dass man diese exzessive Stimmung nur mit Musik erleben kann.

Für den Zuseher verhält es sich am Theater mitunter umgekehrt. Oft sind die stillen Momente die intensivsten und man hat den Eindruck, dass der Schauspieler diese Emotion aus ganzem Herzen selbst empfindet. Verhält es sich tatsächlich so?

Die Voraussetzung ist schon, dass man eine intensive Emotion hat. Aber die Emotion allein reicht nicht aus. Man braucht ein Transportmittel - das ist das Können, die Sprache, die Bewegung, der Körper und natürlich auch die Inszenierung. Alle diese Komponenten sind notwendig, damit diese Momente auch tatsächlich über die Rampe transportiert werden können. Letztlich ist es auch eine Frage der Begabung des Schauspielers. Hier ist das Charisma ungleich verteilt. Es gibt diese Ausnahmepersönlichkeiten wie etwa Werner Krauß. Als Hauptmann von Köpenick saß er alleine auf der abgedunkelten Bühne und tat nichts anderes als wortlos ein Stück Brot zu essen - und man konnte sich nicht daran sattsehen. Es ist sehr schwer zu beschreiben, woran es liegt. Maria Callas hatte ebenfalls diese enorme Präsenz. . .

Weil Sie das Musikmetier ansprechen: Die Tragik am Sängerberuf ist oft die Tatsache, dass man aufgrund stimmlicher Ermüdungserscheinungen zu einem Zeitpunkt zum Aufhören gezwungen ist, wo Texte eigentlich erst in ihrer vollen Tiefe erfasst werden können. Diesbezüglich sind Schauspieler doch in einer besseren Ausgangsposition. Würden Sie sagen, dass Ihnen heute Texte näher gehen als in jüngeren Jahren?

Ich habe schon den Eindruck, Zusammenhänge heute besser zu erkennen. Ich befasse mich sehr gerne mit Lyrik. Mein Credo beim Vorlesen von Gedichten ist, den Gedanken zu folgen. Also ein Gedicht nicht wie ein Gedicht klingen zu lassen, sondern den Text dem Zuhörer zur Verfügung zu stellen.

Sie sind seit 1999 Ensemblemitglied des Burgtheaters und waren zuvor 20 Jahre an der Schaubühne Berlin unter Vertrag. Kontinuität und Ensemblegedanke sind Ihnen offensichtlich sehr wichtig!

Ja, das ist bei mir biografisch begründet. Als ich als Kind in dieses katholische Internat kam, war der einzige Halt, den man hatte, die Gemeinschaft, die Solidarität unter den Kameraden. Die Professoren und Präfekten waren unsere Gegner. Das Konvikt wurde autoritär geführt, der Abt war sozusagen die oberste göttliche Instanz, und ich habe diese Autorität in den ganzen neun Jahren nicht ein einziges Mal wanken gesehen. Wenn er in Erscheinung trat, hat niemand den Mund aufgemacht, wir hatten wirklich Respekt - auch vor unseren Eltern. Es war einfach eine andere Zeit als heute. In diesem Zusammenhang ein Zitat aus Ihrem Buch: "Die Intensität des Erlebten in Freude und Leid machte die Jahre meiner Kindheit reich. In dieser Weise waren die neun Jahre im Konvikt St. Paul ein ganzes reiches erfülltes Leben, in dem fast alles, was mir später begegnet ist, schon einmal geschah."

Schöpfen Sie als Künstler bis heute aus diesem emotionalen Reservoir?

Jetzt nicht mehr bewusst, aber zu Beginn meiner Laufbahn war dies der Fall. In fast jedem Stück gab es eine Situation, in der ich mich an eine Parallelsituation im Internat erinnert habe. Konflikte oder auch Einsamkeit - das konkrete Beispiel verblasst. . .

Strenge Vaterfiguren begleiten Sie durch Ihr Leben. Zunächst Ihr leiblicher Vater, den Sie als Autoritätsperson beschreiben, danach Ihre Zeit im Konvikt, gefolgt von Ihrem Engagement an der Schaubühne Berlin unter der Intendanz von "Übervater" Peter Stein. . .

Dadurch habe ich es nicht leicht gehabt, meine Solistenqualitäten besonders gut zu entwickeln. Unter den Schauspielern findet man auch Einzelkämpfer, das gehört bis zu einem gewissen Grad auch zu diesem Beruf dazu. Es gibt Schauspieler, die glücklich sind, wenn ihnen die Bühne alleine gehört. Dazu zähle ich absolut nicht. Ich liebe es am meisten, wenn zwei oder drei Schauspieler auf der Bühne etwas herstellen, was einer alleine nicht zu leisten vermag. Bei Slapstick kann man dieses Zusammenspiel besonders gut beobachten.

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