Fotos: © Robert Wimmer
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INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 26. November 2016
»Wir sind viel mutiger, als es den Anschein hat«
Christine Dobretsberger im Gespräch mit Erika Pluhar
Erika Pluhar über ihren "Brief an Österreich", den Aufruf zu besonnener Vernunft und das Hochhalten der Demokratie - und über die Forderungen und Herausforderungen des Älterwerdens.
"Wiener Zeitung": Frau Pluhar, Sie sind nicht nur eine vielseitige Künstlerin, sondern bekanntermaßen auch ein politischer Mensch. Was hat Sie zuletzt konkret dazu bewogen, dass Sie sich mit einem "Brief an Österreich" zu Wort gemeldet haben?
Erika Pluhar: Bei der jetzigen Bundespräsidentenwahl bin ich ganz bewusst in kein Komitee gegangen, weil ich der Meinung bin, dass Künstlerkomitees kontraproduktiv sind. Die Menschen, die man eigentlich zum Umdenken bringen möchte, erreicht man damit nicht. Aber nun, auch nach den Äußerungen von Herrn Strache über einen Bürgerkrieg und andere Absurditäten, habe ich mich dazu entschlossen, einen Brief zu schreiben und ihn an die Öffentlichkeit zu senden. Dorthin, wo heutzutage ein Dickicht an unreflektierten Augenblicks-Aussagen wuchert, wo wild gepostet und getwittert wird.
In diesem Brief rufen Sie zu mehr Gelassenheit auf . . .
Zu besonnener Vernunft. Denn gelassen kann man bei diversen Äußerungen nicht bleiben. Da kann ich auf atavistische Weise so ungehalten werden, dass ich mich wirklich bändigen muss. Was aus der Rechts-außen-Ecke hervorgelogen und gehetzt wird, ist kaum zu ertragen. Aber nicht nur bei uns. Im Moment scheint die ganze Welt mehr denn je faschistoid gefährdet zu sein.
Sie beziehen sich in Ihrem Brief auch darauf, dass Sie als Kind den Zweiten Weltkrieg miterleben mussten.
Ich bin 1939 geboren und habe als ersten prägenden Eindruck vom Leben Krieg erlebt. Ich war als Kind in Wien, als die Stadt bombardiert wurde. Wer nicht selbst Krieg erlebt hat, weiß nicht, was Krieg bedeutet. Da kann man im Fernsehen noch so schreckliche, verstörende Bilder von Syrien sehen, sie bleiben einem trotzdem fern - in der Nähe der Fernsehkrimis, die man täglich serviert bekommt. Das ist nicht vergleichbar mit dem eruptiven eigenen Erleben von Krieg. Deswegen war mir so wichtig, in diesem Brief zu formulieren, dass wir seit 72 Jahren - also seit drei Generationen - in diesem Land in einer wunderbaren Demokratie, in einem funktionierenden Sozialstaat friedvoll leben. Und es geht uns vergleichsweise um so viel besser als nahezu allen anderen Ländern auf Erden. Daran konnte auch die Flüchtlingswelle nichts ändern. Niemandem wurde etwas weggenommen dadurch. Nur Angst konnte man den Leuten einjagen. Der Mensch ist so schnell zu schnappen bei der Angst. Weil wir natürlich alle Angst haben, das gehört zu unserer menschlichen Existenz. Aber lassen wir uns doch nicht einreden, einzig der österreichische Staat, die österreichische Politik, gewisse Politiker, gewisse Sensationsmeldungen in den Medien, all dies sei Ursache unserer persönlichen Ängste und Unsicherheiten! Wertschätzen wir lieber unser Land, statt es abzuwerten. Das ständige Geschimpfe gehört zwar irgendwie zum Österreicher dazu, speziell zum Wiener, aber das ist im Moment gefährlich. Man muss wirklich die Demokratie hochhalten.
Sie selbst wurden immer wieder gefragt, ob Sie ein politisches Amt übernehmen möchten. Bereuen Sie es, dass Sie niemals parteipolitisch aktiv geworden sind?
Um Gottes Willen nein. Wenn man ein politisches Amt bejaht, muss man sich ja einer Partei und deren Klubzwang unterwerfen. Ich bin ein politischer Mensch, sicher - aber das muss ich in aller Freiheit sein dürfen.
Freiheit ist das Stichwort zu Ihrem künstlerischen Schaffen, zu Ihrem neuesten literarischen Werk. Als Einstimmung in Ihren Roman "Gegenüber" wählen Sie ein Zitat von Viktor Frankl: "Denn das Vergangen-Sein ist vielleicht die sicherste Form von Sein überhaupt." Weshalb gerade dieses Zitat?
Weil dieser Satz so wahr ist. Dessen, was man bereits erlebt hat, kann man sich sicher sein. Über alles andere kann man im Grunde nur spekulieren. Dieses Buch hat eine Menge mit Rückblicken und Erinnerungen zu tun. Es ist unglaublich spannend, zu beobachten, was die Erinnerung sich aus der Vergangenheit wählt und behält. Auch bei mir selbst.
Woran erinnern Sie sich besonders?
An das Kriegserlebnis - an die Liebesbegegnungen - aber auch da gibt es Phasen in meiner nicht sehr glücklichen ersten Ehe, wo ich merke, dass ich mich fast ein bisschen rausgehalten habe aus meinem Leben. Ich bin draufgekommen, dass es Zeiten gibt - und das sind meistens sehr unglückliche Phasen -, wo ich wie hinter Glas gelebt habe. Nach dem Tod meiner Tochter war ich leblos, wie losgeschickt auf einer Schiene. Umso stärker spürt man dann den Wiedereintritt ins Lebendigsein, wenn einem plötzlich etwas wehtut oder einem doch wieder etwas schmeckt, wenn man lacht
- das konstatiert man dann fast erstaunt. Und dann sind die Erinnerungsbilder wieder ganz stark da, vor allem Bilder aus der Natur, gewisse Landschaften, bestimmte Stimmungen in der Wüste oder am Atlantik.
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