© Robert Wimmer
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INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 5. Mai 2018
»Mit Essen wird viel kompensiert«
Christine Dobretsberger im Gespräch mit Romana Wiesinger
Die Ernährungs-Psychologin Romana Wiesinger über Bauch- und sonstige Gefühle, die unser Essverhalten steuern, die Ineffizienz von Diäten - und woran man erkennt, dass Kinder Essstörungen entwickeln.
"Wiener Zeitung": Frau Wiesinger, Sie sind Psychotherapeutin mit speziellem Fokus auf unser Essverhalten. In Ihrem neuen Buch, "Kochbuch für die Seele", schreiben Sie, dass Sie auf immer weniger Menschen treffen, die mit ihrem Körpergewicht und Körpergefühl zufrieden sind. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Romana Wiesinger: Diese Entwicklung lässt sich nicht auf einen einzigen Faktor zurückführen, sondern hat mehrere Gründe. Eine große Rolle spielen sicherlich die Medien. Wir werden ständig mit Bildern von überschlanken Körpern konfrontiert, die nicht der Realität entsprechen. Zum anderen leben wir in einer sehr schnelllebigen Zeit. Alles muss möglichst rasch gehen, auch das Essen. An jeder Ecke findet man "To go"-Getränke und -Gerichte, etwa "Coffee to go" oder "Noodles to go". Es steht eine Fülle an Fertigprodukten zur Auswahl, die mit Konservierungs- und Inhaltsstoffen versehen sind, die uns lange nicht so satt machen wie frisch zubereitetes Essen. In kürzester Zeit nimmt man also oft eine Fülle an Speisen zu sich, die weder richtig nähren noch satt machen. Und es ist kein Wunder, wenn dann das Körpergewicht aus der Balance gerät.
In Ihrem Buch vertreten Sie die These, dass zu einem guten Körpergefühl drei Dinge gehören: die richtige Ernährung, eine individuelle Bewegung und eine gesunde Psyche. Ihrer Ansicht nach sollte man der psychischen Seite mindestens genauso viel Bedeutung zukommen lassen wie den anderen beiden Säulen. Wie könnte der erste Schritt in diese Richtung aussehen?
Indem ich versuche, mir für mich selbst mehr Zeit zu nehmen, also nicht nur für Arbeit oder Familie, sondern mich in Ruhe hinsetze und alle meine Lebensbereiche einmal überdenke. Tief im Inneren weiß im Grunde jeder Mensch, was ihm guttut und wo man vielleicht etwas ändern sollte. Ich glaube, mit einem bewussteren Hineinspüren in mich und meine Bedürfnisse ist schon viel getan - natürlich auch mit einem bewussteren Ess- und Trinkverhalten.
Würden Sie sagen, dass die Art und Weise, wie ein Mensch gelernt hat, mit seinen Gefühlen umzugehen, etwas mit der Art und Weise zu tun haben könnte, wie er sich ernährt?
Auf jeden Fall. Wir haben es zum Teil ein bisschen verlernt, unsere Gefühle entsprechend auszudrücken. Mit Essen wird hier viel kompensiert. Gerade bei Menschen, die zu viel Gewicht haben, sehe ich oft, dass hier vieles im Leben zu viel ist: zu viele Termine, zu viel Arbeit, zu viel Stress in den verschiedensten Bereichen, oft fällt auch das Nein-Sagen schwer. Die Abgrenzung erfolgt dann eher über den Körper, der immer mehr wird. Gefühle werden also wortwörtlich heruntergeschluckt.
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