© Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 12. September 2020

»Innehalten ist die Quelle der Inspiration«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Alfred Komarek und Erwin Steinhauer

"Seelenverwandte" (Folge 11): Der Schriftsteller und der Schauspieler über ihre gemeinsamen Projekte, die Unterschiede zwischen Text und Film - und die Vorzüge der Entschleunigung.

"Wiener Zeitung": Herr Komarek, worin genau gründet Ihre Seelenverwandtschaft mit Herrn Steinhauer?

Alfred Komarek: Seelenverwandt heißt ja nicht, dass man ähnlich oder gleich ist, sondern dass man im Dialog einander gut ergänzt, miteinander auf Ideen kommt, sich gut versteht. Das ist für mich mit Erwin im idealen Fall gegeben - und das schon über eine lange Zeit hinweg.

Erwin Steinhauer: Wir haben in den 70er Jahren im Radio zum ersten Mal miteinander gearbeitet.

Komarek: Das war damals ein Schundroman mit dem schönen Titel "Die entgleiste Bahnwärterstochter oder Dein ist mein halbes Herz". Es gab über 20 Fortsetzungen, Erwin hat alle männlichen Rollen gesprochen, Chris Lohner alle weiblichen.

Steinhauer: Das war eine ungeheure Gaudi! Und wenn wir schon bei Schundromanen sind - Schlagertexte verbinden uns ebenfalls.

Komarek: Ich hatte bei Ö3 eine Achterbahnlaufbahn, phasenweise sehr gut verdient, dann wieder nichts - in den verzweifelten Phasen habe ich dann angefangen, Schlagertexte zu schreiben, weil es ein schnelles Geld war.

Für welche Interpreten haben Sie Schlagertexte geschrieben?

Komarek: Zum Beispiel für Aniko Benkö...

Steinhauer: ..."Sag zum Leben ja, sag zur Liebe ja."

Komarek: Das war furchtbar, aber es wurde ein Hit. Die besseren Songtexte waren dann schon für die Milestones. Ich habe damals drei verschiedene Pseudonyme verwendet, jenes für die schlechtesten Texte war Alfred Schilling, damit jeder gleich weiß, worauf es mir hierbei ankommt. Erwin, bei dir habe ich das Gefühl, es ist immer authentisch, was du machst. Ich glaube, du würdest nichts tun, was dir ernsthaft gegen den Strich geht.

Steinhauer: Ich kann nur etwas machen, wenn ich es mir entweder zurechtrichten kann, oder ich sehe von vornherein, das hat viel mit mir zu tun, wie damals zum Beispiel, als mir vom Haymon Verlag dein erster "Polt"-Roman zugeschickt wurde. Diese Initiative ging ja von dir aus.

Komarek: Ich habe gesagt, sollte der Roman verfilmt werden, gibt es nur einen Einzigen auf der Welt, der für die Rolle des Simon Polt in Frage kommt - und das ist der Erwin.

Steinhauer: Beim Lesen des Buches wusste ich sofort, das ist etwas, das es in der damaligen Fernsehlandschaft noch nicht gegeben hatte, dieser Blick, diese Art der Beschreibung, die Nähe zu einer Landschaft und zu Figuren.

Komarek: Vonseiten des Fernsehens hatte zunächst niemand an diese Idee geglaubt. Mir wurde gesagt, das ist eine Gegend, die niemand kennt, ein Ermittler, der nicht ermittelt, das wird der größte Flop des Jahrhunderts.

Steinhauer: Wir haben lange gesucht - wir wussten, wir brauchen eine Filmfirma, einen Regisseur, eine Kalkulation, und wenn wir die wichtigsten Grundpfeiler beisammen haben, dann gehen wir zum ORF. Zuvor hatte ich gerade in Bayern einen Film gedreht, "Zärtliche Sterne", bei dem Julian Pölsler Regie geführt hat - und so hat dann alles seinen Weg genommen.

Komarek: Julian Pölsler kam bei mir bei der Tür herein und sagte, er hat keine Ahnung vom Weinviertel, er will lernen und ist bereit, sich auf dieses Projekt einzulassen.

Herr Steinhauer, hatten Sie damals bereits einen Bezug zum Weinviertel?

Steinhauer: Meine Vorfahren sind aus Ernstbrunn und hatten dort vor dem Ersten Weltkrieg eine Hufschmiede.

Komarek: Von dem Konnex wusste ich damals nichts. Ich wusste nur, Erwin hat ein Gespür für Zwischentöne, er kann mit Schweigen umgehen, er muss nicht immer ganz vor an die Rampe - er kann auch leise Töne spielen.

Wie klappte letztlich die Zusammenarbeit mit der Regie?

Steinhauer: Ich bin kein Harmoniker, sondern ein Disharmoniker, ich versuche aus dem Unterschied ein gemeinsames Projekt zu erstellen - und das bedingt natürlich, dass ich bei vielen Regisseuren als schwierig beschrieben bin. Auch mit Julian Pölsler gab es heftige Kämpfe.
"Ich bin kein Harmoniker, sondern ein Disharmoniker, ich versuche aus dem Unterschied ein gemeinsames Projekt zu erstellen." - © Robert Wimmer

Komarek: Aber das Endergebnis war dann so, dass es für beide Teile ein Segen war. Und das könnt ihr mir ja beide bestätigen: Ich habe es euch nicht leicht gemacht. Es gibt ja keine filmische Dramaturgie in den Romanen, sie sind nicht so aufgebaut wie ein Krimi oder ein Thriller.

Steinhauer: Es ist ein anderesliterarisches Genre.

Komarek: Mir musste auch klar sein, dass Film und Text zwei unterschiedliche Erzählweisen sind. Im Film dauert es endlos lange, bis eine Stimmung aufgebaut ist, beim Schreiben kann ich sie in einem Halbsatz vermitteln. Auf der anderen Seite brauche ich vier Seiten, um eine Landschaft zu beschreiben, die wiederum im Film in ein paar Sekunden sichtbar gemacht werden kann.

Wie ging es Ihnen mit der Rollengestaltung des Gendarmen Simon Polt?

Steinhauer: Wenn ich lese, lese ich bildlich, so ist das auch bei Drehbüchern. Ich sehe das Geschehen bildlich vor mir und kann nicht anders, als die direkte Rede so zu gestalten, wie das der Figur entspricht, die ich in dem Bild sehe.

Wären Sie da nicht der geborene Regisseur?

Steinhauer: Ich habe es an der Josefstadt siebenmal probiert, aber mir fehlt etwas ganz Wichtiges - und zwar Geduld. Es geht mir alles zu langsam, ich bin kein Psychologe und ich kann mit Untalent nicht umgehen. Otto Schenk hat mich einmal bei einer Probe in den Kammerspielen beobachtet und ein paar Mal dreingeredet. Sofort haben wir heftig zu streiten begonnen und der Gipfel des Streites war, dass er gesagt hat: "Hast du in der Früh deine Blutdrucktabletten genommen?" Da wusste ich, Regie ist nichts für mich, außerdem bin ich ein spielerischer Mensch.

Komarek: Mir ist heute noch in bester Erinnerung, ich komme zum Dreh und Erwin hat schon eine dunkelrote Färbung und ist knapp davor zu explodieren. Ich dachte mir, vielleicht kann man das noch bereinigen und erzählte ihm eine wahre Geschichte aus meinem Leben. Ich sagte, wissen Sie, mir geht es manchmal ähnlich, ich habe einmal einen Sessel in kleine Stücke zusammengehaut. Woraufhin du sagtest: Bei mir war es eine Dachbodentreppe.

Damals waren Sie noch per Sie?

Komarek: Den ganzen "Polt" hindurch. Ich bin nicht der Typ dafür, am Filmset rasch per Du zu sein. Das ist nivellierend und untergräbt auch bei manchen die gegenseitige Achtung und die gute Zusammenarbeit. Am Schluss, nach allen sechs Folgen, haben wir dann festgestellt, jetzt haben wir ein paar Kinder miteinander.. .

Steinhauer: ... und brauchen das Sie nicht mehr.

Gab es nach dem letzten Polt-Krimi so etwas wie einen Abschiedsschmerz?

Steinhauer: Eigentlich nicht, ich glaube, das verbindet uns ebenfalls, wir hören beide mit Dingen auf, bevor es den anderen zu lang wird.

Komarek: In meinem Lieblingsbuch "Handorakel und Kunst der Weltklugheit" von Baltasar Gra-cian steht der schöne Satz: "Nicht abwarten, dass man eine untergehende Sonne sei." Das sollte man berücksichtigen.

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