© Tatjana Sternisa



INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 22. Mai 2022

»Wie ich mein Wien erklommen habe«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Christine de Grancy und Mercedes Echerer

Seelenverwandte (Folge 15): Die Photographin Christine de Grancy und die Schauspielerin Mercedes Echerer über ihre Gemeinsamkeiten.

"Wiener Zeitung": Frau de Grancy, als ich Sie gefragt habe, wen Sie sich als seelenverwandten Gesprächspartner wünschen würden, fiel Ihre Wahl auf Mercedes Echerer. Das hat sicher gute Gründe ...

Christine de Grancy: Das war eine spontane Entscheidung, weil wir in der letzten Zeit etwas so Intensives gemeinsam gemeistert haben und uns auch weiterhin neue Projekte vornehmen wollen. Das kann man nur schaffen, wenn man irgendwie seelenverwandt ist.

Sie sprechen die Realisierung Ihres Bildbandes "Über der Welt und den Zeiten" an, bei dem Frau Echerer als Verlegerin fungierte. Dieser Photozyklus schenkt einen anderen Blick auf Wien, nämlich aus der Perspektive der steinernen Götterwelt, die speziell auf den Dächern der Ringstraßenpalais zu finden ist.

De Grancy: Ja, ein altes Archiv zu öffnen, neue wie zeitlose Aspekte zu finden, ist eine enorme Herausforderung. Wie Mercedes hier meinen eigenen Blick erweitert hat, ist großartig. Seelenverwandt ist ein hehres Wort, aber ich merke zwischen uns in vielen kleinen Belangen eine solche Verwandtschaft.

Wie lange kennen Sie einander?

Mercedes Echerer: Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wann genau wir einander persönlich kennengelernt haben, ich weiß nur, dass ich auf die Arbeit von Christine gestoßen wurde. Als wir 1992 in der Josefstadt "Kasimir und Karoline" geprobt haben, zeigte uns Harald Clemen, der das Stück inszenierte, ein Bild von Christine, das er für das Programmheft verwenden wollte. Auf diesem Photo war ein Paar Damenfüße flankiert von einem Paar Herrenfüße abgelichtet, die über eine Pfütze steigen - und in dieser Pfütze spiegelt sich das Riesenrad. Nachdem "Kasimir und Karoline" größtenteils auf einem Jahrmarkt stattfindet, war das natürlich ein ausgesprochen passendes Sujet.

Was war der konkrete Auslöser, miteinander Projekte zu realisieren?

Echerer: Eine gemeinsame Reise nach Siebenbürgen, im Rahmen derer Christine auch photographierte (diese Schreibweise wird auf Wunsch von Frau de Grancy durchgängig verwendet, Anm.). Wir haben beide eine große Neugierde gegenüber dem europäischen Osten, das hat familiäre und freundschaftliche Hintergründe, ihrer- wie meinerseits, und verbindet uns ebenfalls.

Frau de Grancy, in Interviews lassen Sie immer wieder durchklingen, dass Sie sich - wenn Sie einen Menschen photographieren - viel Zeit nehmen, um mit ihm in Beziehung treten zu können. Würden Sie das als besondere Gabe bezeichnen, bei einem Gegenüber relativ schnell ein Gefühl der Vertrautheit herstellen zu können?

De Grancy: Ich denke, wie bei uns allen, ist die Kindheit prägend. Meine ersten Lebenserinnerungen sind das brennende Berlin. Wenn man Binnenflüchtling ist, merkt man, wie verletzlich das Leben ist - und meine Reaktion darauf war, dass ich ein zutiefst introvertierter Mensch war.

Wie kamen Sie dann zur Photographie?

Zunächst wurde ich in Graz zur Keramikerin und Gebrauchsgraphikerin ausgebildet. Danach ging ich in die Werbung und wurde mit einer Form von Ästhetik konfrontiert, die mich sehr schnell verstört hat. Dieses künstlich Hergestellte und nur wenig mit dem authentisch Seienden zu tun Habende schockierte mich. Darauf wurden wir von der Kunstschule nicht vorbereitet. Wobei das Wort Ästhetik für mich zu einem ganz wesentlichen Begriff wurde. Der Inhalt meint Wahrnehmung. Es war für mich ein Schock zu verstehen, was Werbung mit uns Menschen macht - man normiert und manipuliert uns. Da kam dann dieser Wunsch auf, in die Photographie hineinzuwandern, und zwar in die reportierende Photographie, die mir den Freiraum gab, das zu erzählen, was ich sehe, fühle und empfinde.

Diese Form der Photographie ist für mich ein sanfteres, umfassenderes, vielschichtigeres Mittel geworden, für ein anderes Menschenbild zu kämpfen, nämlich für eines, das dann wirklich liebenswert ist, wenn es authentisch ist und sich nicht eine bombastisch umwerfende Fassade vorbaut, die mit dem eigentlichen Menschen nichts zu tun hat.

Durch das Photographieren konnten Sie Ihre Introvertiertheit abbauen?

De Grancy: Ich konnte sie ummünzen in eine Kraft. Ich spürte, dass dieses sich immer selber Schützen und Verbarrikadieren ja auch der andere tut. Einer muss den Schritt nach vorne wagen - und da ist diese Form des Reportierens eine wunderbare Tätigkeit. Man kann sich davon nicht sehr gut ernähren, aber es ist für die menschliche Entwicklung enorm wichtig. Später habe ich es dann ins Wienerische gebracht und gesagt, ich gehe mit meiner Kamera äußerln. Wenn man mit einer Kamera unterwegs ist, kommt man, ähnlich wie Hundebesitzer, viel schneller mit anderen Menschen ins Gespräch.

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